A.W. // 1964

„Wenn ich den Namen Adolf höre, ist der erste, an den ich denke, Adolf Hitler. Irgendwann, weit dahinter, kommt mein Vater. Und dann mein Opa. Das liegt aber sicher daran, dass sie nicht alltäglich als Adolfs präsent waren: Ich habe ja weder meinen Vater noch meinen Großvater beim Vornamen genannt.

Als ich in einer Sonderbeilage eines Mickey-Maus-Heftes etwas über Adolf Hitler las, merkte ich zum ersten Mal, dass mein Vorname anders ist als andere. Erst recht, als ich in der Grundschule den Spitznamen ‚Hitler’ hatte.

Mein Vater sagte Adolf, meine Mutter Walter

Die Frage nach dem Warum musste ich nie stellen: Es war Familientradition. Ich bin die sechste Generation. Und ich hatte nie auch nur den Hauch eines Verdachts, dass hinter der Namensgebung politische Überzeugungen standen. Mein Vater hat sich, ohne dass man ihn dazu herausfordern musste, gerne und häufig politisch geäußert. Er war immer links. Und das in Bayern. Damit war er automatisch ein Einzelgänger.

Die Legende geht, dass meine Eltern mir in den ersten Monaten verschiedene Namen gegeben haben. Mein Vater hat mich Adolf genannt, meine Mutter Walter. Bis man sich auf Adi geeinigt hat. Das weiß ich aber auch erst seit zehn Jahren.

Meine Mutter war eher nicht politisch interessiert, sie fand den Namen einfach unfassbar hässlich. Dass mein Vater den Namen nicht problematisch fand, lag sicher an seiner unglaublichen Sturheit. Ich kann es nicht verstehen, aber er dachte damals wohl: In weiteren 20 Jahren ist der Teil der Geschichte vergessen – und unsere Familie gibt es dann immer noch. Er fand: Solche Herausforderungen machen einen stärker.

Mein uncooles Mofa war schlimmer

Aber der Name hat mich weniger stark geprägt als man zunächst vermuten würde. Natürlich klingt es, als wäre man in einer grässlichen Außenseiterposition, wenn man in der Schule Hitler genannt wird. Aber das hatte mit meiner Beliebtheit wenig zu tun. Ich war immer der Kleinste und habe bei vielen einen Beschützerinstinkt geweckt. Insofern war das erst recht eine Lachnummer, dass ich irgendwas mit Hitler zu tun haben sollte.

Richtig unangenehm wurde es erst in der Jugendzeit. Wenn man unter allen Umständen sehr, sehr cool sein möchte. Aber es gibt ja jede Menge Päckchen, die man tragen muss, kann ja auch etwas Körperliches sein. Ich hatte ein furchtbar uncooles Mofa, das hat mir mindestens so viel zu schaffen gemacht wie der Name.

Als Abiturient in dieser Zeit war man eher links als rechts. Vielleicht war es mir ein stärkeres Bedürfnis, noch weiter links zu stehen als man eh schon stand. Und natürlich hat man die Überraschung auf seiner Seite gewähnt, wenn man mit diesem Namen linke Forderungen vertreten hat. Ein Adolf mit langen Haaren, verwahrlost: Da vermittelte man ein ganz neues Bild.

Adolf klingt nach Rumpelhöhle

Richtig hart war es gegenüber Frauen. Da war etwa diese Anhalterin, die mich fragte, wie ich heiße und ich sagte: Adolf. Daraufhin sagte sie erst einmal gar nichts. Und fing dann nach 30 Sekunden an, fürchterlich zu lachen. Ich fragte: Wieso lachst Du so? Sie antwortete: Ich stelle mir gerade vor, wie das ist mit Dir im Bett und man muss dauernd sagen: Adolf, Adolf! – Da war klar, dass es nicht einfach wird.

Ob mir mein Name gefällt? Nein. Der Name Adolf ist in seiner Bedeutung kontaminiert und grausam belastet. Aber damit habe ich gelernt umzugehen. Ich finde ihn auch phonetisch grauenvoll. Allein die Buchstabenfolge! Er ist dumpf, er ist altmodisch, aus so einer altgermanischen Rumpelhöhle, in der ich mich ungern sehe.

Den Namen zu tragen ist wie Muskelaufbau

Adi hingegen fand ich als Kind schön – und schlimm als ich älter wurde. Als Erwachsener einen derart niedlich klingenden Namen zu haben ist auch nicht toll. Aber er ist etabliert und wird von Freundesgeneration zu Freundesgeneration weitergegeben. Ich komme ganz gut klar mit der Abkürzung A.W., also A-Weh gesprochen, auch mit dem hochdeutschen Adi. Nur das bayerische ‚Aaadi‘ verbinde ich so stark mit dem Kindernamen, dass ich es richtig unangenehm finde.

Aber ich bin felsenfest überzeugt, dass es einen bestimmten Muskel meiner Persönlichkeit aufgebaut hat, diesen Namen zu tragen. Weil er immer der erste Eindruck ist, den sich Leute von mir machen. Und dann kommt irgendwann: ‚Eigentlich bist Du doch ganz nett‘. Ich habe daher immer eher damit kokettiert.

Allerdings hat mein Beruf dazu geführt, dass ich den Namen dann doch über eine Abkürzung zum Verschwinden gebracht habe. Über einen Zeitraum von zehn Jahren war ich intensiv mit Gedenkarbeit befasst. Und im Aufeinandertreffen mit jüdischen Überlebenden empfand ich zum ersten Mal wegen des Namens Scham. Es war, als sei allein die Präsenz des Namens ein Unrechttun. Das wollte ich weder mir noch den anderen auf offener Bühne zumuten. Ich habe danach beschlossen, den Namen im offiziellen Kontext nicht mehr zu benutzen. Ich sehe es tatsächlich als eine Art von Beleidigungsakt an, den Namen offensiv zu verwenden.

Ein Name selbst trägt keine Schuld

In all den Jahren in der Gedenkstättenarbeit bin ich mit dem Themenkomplex so zusammengewachsen, dass mich das auf besondere Art verantwortlich macht. Ich würde das aber nie direkt auf den Namen zurückführen. Meine Aufgabe ist weniger, die Grenzen nach rechts aufzuzeigen, sondern sie im Gespräch aufzuweichen. Ich möchte verkrustete und sich derzeit wieder verfestigende Denkweisen aufbrechen.

Meine Rolle sehe ich als Vermittler. Ich bin mit einer unglaublich konservativen Verwandtschaft aufgewachsen, komme aus absolutem CSU-Herzland. Deswegen liegt es mir auch fern, alles sofort zu verdammen. Ich gebe nicht auf, mit meinen Leuten zu sprechen.

Mittlerweile glaube ich, mit dem Namen ist es wie mit der Architektur: Ein Name an sich trägt keine Schuld. Aber genauso wie es unsere verdammte Pflicht ist, jene Häuser, die während des Nationalsozialismus entstanden, wieder mit neuem Leben zu füllen, war ich gefordert, den Namen Adolf mit eigener Bedeutung aufzuladen.“