Die Statistiken

Ausgerechnet mit einem kleinen Adolf-Witz fing alles an. In einer seiner Vorlesungen empfahl der Historiker Michael Wolffsohn seinen Studierenden das Werk eines Kollegen.  Der Vorname des Autors sei zwar Adolf, so sein Kommentar, doch: „Trotzdem ist er ein feiner Kerl, sagte ich absichtlich flapsig. Heiterkeit war die erwartete Reaktion der Hörer“, schreibt Wolffsohn in Die Deutschen und ihre Vornamen.

Jenes Buch, ein Standardwerk der Onomastik, und dahinter ein ganzes Forschungsprojekt entstand aus diesem 1989 dahingeworfenen Halbsatz: 1,1 Millionen der Münchner Einwohnermeldeliste werteten Wolffsohn und seine Kollegen in den Folgejahren aus, dazu hier und da Daten der Westberliner Landesstatistiker. Die Überlegung sei gewesen, zu schauen, ob „die Auswahl von Vornamen sehr wohl ein politischer Indikator sein könne; ein demoskopischer Indikator in vordemoskopischer oder nichtdesmoskopischer Zeit oder auch grundsätzlich ein Hinweis auf Mentalitäten und Mentalitätswandel, Ideologien und Ideologiewandel“, so Wolffsohn.

Auch wenn die Argumentation hier und da schwammig bleibt und mit vielen Wenns und Abers hantiert – ob Eltern ihre Kinder nun aus strammer Überzeugung, aus Familientradition oder aus strategischen Gründen Nazi-Namen gaben, lässt sich aus Einwohnermeldedaten schließlich nicht ablesen – kommt Wolffsohn zu dem Schluss: „Wer seinen Sohn Adolf oder Horst nannte, bekundete eindeutig und deutlich mehr Nähe zum Regime als diejenigen, die sich für Gerhard, Wolfgang oder andere deutsche wie eingedeutschte Feld-Wald-und-Wiesennamen entschieden.“

Auf einen Blick:

>>> Auszug aus Michael Wolffsohn, Thomas Brechenmacher: „Die Deutschen und ihre Vornamen. 200 Jahre Politik und öffentliche Meinung“, München: 1999, Diana, S. 208.

Die Kurve, die Wolffsohn und Brechenmacher da auf der Basis von Prozentzahlen in ihrem Buch zeigen, sieht in etwa so aus wie die, die entsteht, wenn man die Ranglistendaten, die Knud Bielefeld von Beliebte Vornamen zusammengesammelt hat, als Graphik ausspucken lässt:

Auf beiden deutlich: Bis 1932 fällt die Kurve beharrlich, Eltern werden des Namens offenbar überdrüssig, 1932 ist „Adolf“ nur auf Platz 71 der Hitliste, dann kommt Hitler an die Macht – und zack! schnellt der Name in den Jahren 1933 und 1934 auf Rangliste 42 und 36. In den absoluten Zahlen von Wolffsohn waren es 1932 nur etwa 0,5 Prozent der neugeborenen Jungs, die so getauft wurden, zwei Jahre später knapp 2,5 Prozent.

Der Krieg tobt, als ab 1942 die Kurve wie in eine Gletscherspalte fällt: 1943 auf Platz 102, 1945 auf Platz 129: „Der Rückhalt für Hitler in der Bevölkerung ging zurück“, analysiert Knud Bielefeld, der seit 2003 Daten auf Basis von alten Vereinsregistern, Soldatenverzeichnissen, Telephonbüchern und Geburtsanzeigen zusammenträgt (mehr über Bielefelds Datengrundlage und die Validität seiner Zahlen: hier und hier).

Bielefeld, der mittlerweile einen Blick für Moden hat, sagt: „Der Name Adolf ist ähnlich stigmatisiert wie Kevin.“ Zumal die Sache ja nicht vorbei ist: Mit Blick in seine Tabellen meldet er aus den vergangenen sechs Jahren 17 Adolfs, Adolfines, Adolfos – aber als Zweitnamen. Nur einer aus seiner Stichprobe trägt ihn solo.

Bei der Gesellschaft für deutsche Sprache GfdS, die auch bei Namensvergabe berät und Vornamensforschung betreibt, wurde „Adolf“, so heißt es, in den vergangenen zehn Jahren 13 Mal angefragt. „Die Fragen, die uns gestellt werden, rangieren von: Was halten Sie davon? Ist er reglementiert? Kann ich mich umbenennen? Bis zu: Welche Assoziationen hat er?”, so Lutz Kuntzsch, der Vornamens-Forscher der GfdS. Der Haken in Deutschland ist, dass Vornamen nicht amtlich gesammelt werden. Das offiziellste ist die alljährlich erscheinende Rangliste der GfdS, der die meisten Standesämter ihre aktuellen Namenslisten schicken. Laut der GfdS-Datensätze ist dieser so stigmatisierte Name in den letzten sieben Jahren immerhin 132 Mal vergeben worden ­– 130 mal als Jungsname, zwei Mal als „Adolphina”.

Und auch wo der „Adolf“ besonders gerne genommen wurde, lässt sich herausfinden – allerdings nur auf der Basis von Telephonbuchdaten von 1998 (wer andere Quellen hat, bitte gerne schicken; aktuelle Telephonbuchdatenbanken lassen sich nicht gesondert nach Vornamen durchsuchen).

Hallo Süddeutschland!

Die meisten der 74.979 Adolfs, die 1998 im Telephonbuch aufgeführt waren, werden längst verstorben sein – seine Zeiten als Modename liegen nun schließlich fast 100 Jahre zurück. Die Karte zeigt regionale Vorlieben, aber bringt auch zum Vorschein, was sonst unsichtbar bleibt.

Denn Datensätze, Exceltabellen, Kurvendiagramme sind abstrakt, unpersönlich. Was das mit einem selbst zu tun haben soll, erschließt sich nicht sofort. Auf dieser Landkarte schon: Da, wo diese fetten Punkte sind, kennt man da jemanden? Probieren Sie es aus. Oder wie es Wolffsohn mal in einem Aufsatz formulierte: „Auch Vornamen sind Erinnerungsorte“.