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Das Projekt

Hitler. Heißt so noch irgendwer, der lebt?
Das war mal die Ausgangsfrage, vor einigen Jahren. – Gefolgt von: Gibt es noch Adolfs?
Und auf einmal tauchten ein paar auf, in der Öffentlichkeit, umständehalber; bei einem Interviewtermin, berufsbedingt.

Und diese Adolfs waren jung. Nachkriegs-jung.

Neue Frage, also: Wieso heißen sie so? Und – haben sie noch Kontakt zu ihren Eltern? Denn sicherlich, eine andere Erklärung als stramme politische Überzeugung kann ja wohl kaum der Grund sein? Wer hilft seinem Kind qua Name einen solchen historischen Rucksack über?

Und vor allem: Wie lebt es sich mit jenem Vornamen, der so stark ist, dass alle sofort einen kleinen Bart sehen, die schnarrende Stimme im Ohr? Sonst haben Verbrecher schließlich nur Nachnamen. Bei „Josef“ denkt keiner nur an Stalin, bei „Benito“ keiner an Mussolini (Und bei Saddam liegen die Gründe anders). Wie ist es, nicht einfach als Stephan, Andreas, Jürgen, Sabine oder Michael in der Normalo-Masse zu verschwinden – sondern mit dem Bösen per se so persönlich verbunden zu sein, wie es ein Vorname nun mal mit sich bringt?

Wie Namen und Identität zusammenhängen ist in Deutschland wenig erforscht. Die einen konzentrieren sich darauf, inwiefern Namen etwas über unsere gesellschaftliche Position aussagen, allen voran der Soziologe Jürgen Gerhards, der Sachverständigenrat für Migration untersuchte 2014 Diskriminierung am Arbeitsmarkt via Namen, die Onomasten nähern sich eher aus sprachwissenschaftlicher Perspektive, wie die Gesellschaft für Namensforschung oder die Gesellschaft für deutsche Sprache; letztere sind wie auch Knud Bielefeld von Beliebte Vornamen die Ranglistenmacher in dem Feld. (Mehr über Adolfs aus statistischer Sicht? Steht hier.)

„Es gibt einen eklatanten Forschungsmangel, wenn es um den Zusammenhang von Namen und Identität geht“, findet die Philologin Miriam Schmidt-Jüngst, ebenfalls Namensforscherin: “Den Linguisten fehlt die soziologische Perspektive, den Soziologen die sprachwissenschaftliche.”

Bei der Konstruktion von Identität gehe es, so Schmidt-Jüngst, unter anderem um die Frage einer Entscheidung zwischen einer Gruppe oder Abgrenzung: Wie stark identifiziere ich mich mit meiner Familie, also als Teil einer Ahnenreihe? Oder habe ich eher eine individualisierte Ich-Sicht? Wie umzugehen ist mit Vornamen, deren Bedeutung der eigenen Persönlichkeit diametral entgegen stehen, erforscht sie gerade auf anderem Gebiet: anhand der Geschichten von Menschen, die Transgender sind.

„Die einen sagen, Namen sind Labels und für sie nicht wichtig. Die anderen wollen nichts mit dem Namen zu tun haben und versuchen, ihm mit einem Spitznamen zu entkommen. Und andere sind bestrebt, den Namen positiv aufzuladen“, so Schmidt-Jüngst. So belastet „Adolf“ auch sei, „ich kann mir vorstellen, dass man seinen Frieden mit dem Namen macht”.

Wie man via Vorname Teil einer Familientradition wird, wie man sich ein positiv besetztes Vorbild sucht, um die belastenden Assoziationen zu ersetzen – und wie Familien an „Adolf“ zu zerbrechen drohen: All diese Facetten bündelt übrigens ein französischer Film von 2012, basierend auf einer Theaterkomödie. Er heißt im Original schön abstrakt „Le Prénom“, Patrick Bruel spielt auch mit, ein großartiges Kammerstück:

Wer noch eine positiv besetzte Alternative sucht – in dieser Story taucht eine auf: Adolphe von Benjamin Constant. Ein Liebesroman von 1816.

P.S.: Falls sich jemand über das Neonpink auf der Startseite wundert: weiter weg von handelsüblichen Adolf-Assoziationen ging nicht.

Der Namensforscher

Jürgen Gerhards hat eine Professur für Makrosoziologie an der Berliner Freien Universität inne – und leitet unter anderem ein Forschungsprojekt, das die Namens-Identitäten von Migrantinnen und Migranten untersucht.

Herr Gerhards, wenn Sie hören, dass ein Mann, nach dem Krieg geboren, auf den Namen Adolf getauft wurde – was ist Ihre erste Reaktion?

Jürgen Gerhards: Meine erste Assoziation wäre, nach der politischen Ideologie der Eltern zu fragen. Der Name ist kontaminiert. Es ist selten, dass ein Name so stigmatisiert ist – und noch dazu weltweit. Die Verbindung zu Führer, Holocaust und Nationalsozialismus ist fest im kollektiven Bewusstsein verankert.

Selten? Welcher fällt Ihnen noch ein?

Pol Pot und Josef Stalin waren ähnliche Halunken, aber Pol kennen zu wenige Leute, zumindest in Europa und bei Josef denkt man nicht automatisch an den einen …

… es gibt ja auch noch Kollegen im Christentum.

Genau. Aber eine solche Verbindung zwischen einem Vornamen und einer fürchterlichen Entwicklung der Menschheitsgeschichte wie bei Adolf ist ein Sonderphänomen: weil die Attribution so explizit ist. Dadurch ergibt sich für spätere Namensträger ein echtes Problem: Der Name ist ein Stigma. Im Unterschied zu anderen Markern von Identität kann man einen Namen nicht einfach ablegen, ein Name – und so auch „Adolf“ – ist eine Markierung fürs Leben.

Viele erklären, der „Adolf“ sei Familientradition in der xten Generation. Ersetzt das das Stigma?

Um eine Familientradition weiterzuführen haben sie ihren Kindern gegenüber zumindest eine gewisse Robustheit an den Tag gelegt. Denn der Referenzraum der Familie kollidiert beim Namen Adolf mit dem zweiten Bezugsraum, dem der öffentlichen Wahrnehmung des Namens.

Ich hörte von „Adolfs“ wiederholt, sie hätten mit ihren Eltern nie wirklich darüber geredet. Hat das mit jener Generation zu tun, die über den Nationalsozialismus schwieg, die Zeit als Leerstelle behandelte?

Das kann ich mir gut vorstellen. Soziologen sagen: Die Wirklichkeit ist real, wenn sie von den Akteuren als real definiert wird. Es mag sein, dass die Eltern unterschätzt haben, wie lange die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland nachwirken würde. Die sagten sich vielleicht: Das mendelt sich schon aus, die Verbindung des Namens Adolf mit dem NS gerät in Vergessenheit – damit haben sie sich verhauen. Die Langfristfolgen hatten sie nicht im Blick.

Dennoch nehmen offenbar nicht alle den Namen als einen derartigen Makel wahr. Wie erklären Sie sich das?

Es gibt verschiedene Formen von Stigma-Management, die ich aus meiner Forschung über migrantische Vornamen kenne. Die Hauptstrategie ist, die Existenz des Namens abzudunkeln, in dem man eine Kurzform kreiert, etwa Adi, oder auf den zweiten Vornamen zurückgreift. „A. Ulrich Müller“ etwa.

Derzeit gibt es eine Renaissance alter deutscher Namen. Ebnet das den Weg für „Adolf“?

Stimmt, wir erleben gerade, dass die Bedeutungszuschreibung von deutschen Namen und deutschem Kulturgut verblasst und damit die deutschen Namen wieder verwendbar werden. Das Distinktionsprinzip ist wichtig für die Bildungsbürgerschichten, etwa in Prenzlauer Berg: Alle heißen Sarah und Hanna, da muss man sich unterscheiden. Allerdings bezweifle ich, dass der Name Adolf je von seinem Kontext entkleidbar ist. Dieser Name ist eine Ausnahme. Dabei war er lange ein normaler deutscher Name, dessen Beliebtheit zwar schon vor 1933 deutlich gesunken war. Aber dann gibt es ab 1933 einen Peak in der Statistik, ab 1942/43 bricht die Kurve wieder ab.

Wenn man mal abstrahiert von der Bedeutung: Was für ein Image hätte ein „Adolf“ heute?

Wenn Adolf nicht so kontaminiert wäre, wäre der Name selbst kein Nachteil im Alltag. Es gibt phonetisch kein Argument gegen den Namen, ebensowenig wie bei Rudolf oder Ulf, die wohl am engsten verwandt sind. Das „-lf“ konnotiert deutlich Männlichkeit, der Name ist leicht sprechbar, weil er zwei-vokalig ist – und er funktioniert in mehreren Sprachen. Ein Karl hat es da schwerer.

 

Die Statistiken

Ausgerechnet mit einem kleinen Adolf-Witz fing alles an. In einer seiner Vorlesungen empfahl der Historiker Michael Wolffsohn seinen Studierenden das Werk eines Kollegen.  Der Vorname des Autors sei zwar Adolf, so sein Kommentar, doch: „Trotzdem ist er ein feiner Kerl, sagte ich absichtlich flapsig. Heiterkeit war die erwartete Reaktion der Hörer“, schreibt Wolffsohn in Die Deutschen und ihre Vornamen.

Jenes Buch, ein Standardwerk der Onomastik, und dahinter ein ganzes Forschungsprojekt entstand aus diesem 1989 dahingeworfenen Halbsatz: 1,1 Millionen der Münchner Einwohnermeldeliste werteten Wolffsohn und seine Kollegen in den Folgejahren aus, dazu hier und da Daten der Westberliner Landesstatistiker. Die Überlegung sei gewesen, zu schauen, ob „die Auswahl von Vornamen sehr wohl ein politischer Indikator sein könne; ein demoskopischer Indikator in vordemoskopischer oder nichtdesmoskopischer Zeit oder auch grundsätzlich ein Hinweis auf Mentalitäten und Mentalitätswandel, Ideologien und Ideologiewandel“, so Wolffsohn.

Auch wenn die Argumentation hier und da schwammig bleibt und mit vielen Wenns und Abers hantiert – ob Eltern ihre Kinder nun aus strammer Überzeugung, aus Familientradition oder aus strategischen Gründen Nazi-Namen gaben, lässt sich aus Einwohnermeldedaten schließlich nicht ablesen – kommt Wolffsohn zu dem Schluss: „Wer seinen Sohn Adolf oder Horst nannte, bekundete eindeutig und deutlich mehr Nähe zum Regime als diejenigen, die sich für Gerhard, Wolfgang oder andere deutsche wie eingedeutschte Feld-Wald-und-Wiesennamen entschieden.“

Auf einen Blick:

>>> Auszug aus Michael Wolffsohn, Thomas Brechenmacher: „Die Deutschen und ihre Vornamen. 200 Jahre Politik und öffentliche Meinung“, München: 1999, Diana, S. 208.

Die Kurve, die Wolffsohn und Brechenmacher da auf der Basis von Prozentzahlen in ihrem Buch zeigen, sieht in etwa so aus wie die, die entsteht, wenn man die Ranglistendaten, die Knud Bielefeld von Beliebte Vornamen zusammengesammelt hat, als Graphik ausspucken lässt:

Auf beiden deutlich: Bis 1932 fällt die Kurve beharrlich, Eltern werden des Namens offenbar überdrüssig, 1932 ist „Adolf“ nur auf Platz 71 der Hitliste, dann kommt Hitler an die Macht – und zack! schnellt der Name in den Jahren 1933 und 1934 auf Rangliste 42 und 36. In den absoluten Zahlen von Wolffsohn waren es 1932 nur etwa 0,5 Prozent der neugeborenen Jungs, die so getauft wurden, zwei Jahre später knapp 2,5 Prozent.

Der Krieg tobt, als ab 1942 die Kurve wie in eine Gletscherspalte fällt: 1943 auf Platz 102, 1945 auf Platz 129: „Der Rückhalt für Hitler in der Bevölkerung ging zurück“, analysiert Knud Bielefeld, der seit 2003 Daten auf Basis von alten Vereinsregistern, Soldatenverzeichnissen, Telephonbüchern und Geburtsanzeigen zusammenträgt (mehr über Bielefelds Datengrundlage und die Validität seiner Zahlen: hier und hier).

Bielefeld, der mittlerweile einen Blick für Moden hat, sagt: „Der Name Adolf ist ähnlich stigmatisiert wie Kevin.“ Zumal die Sache ja nicht vorbei ist: Mit Blick in seine Tabellen meldet er aus den vergangenen sechs Jahren 17 Adolfs, Adolfines, Adolfos – aber als Zweitnamen. Nur einer aus seiner Stichprobe trägt ihn solo.

Bei der Gesellschaft für deutsche Sprache GfdS, die auch bei Namensvergabe berät und Vornamensforschung betreibt, wurde „Adolf“, so heißt es, in den vergangenen zehn Jahren 13 Mal angefragt. „Die Fragen, die uns gestellt werden, rangieren von: Was halten Sie davon? Ist er reglementiert? Kann ich mich umbenennen? Bis zu: Welche Assoziationen hat er?”, so Lutz Kuntzsch, der Vornamens-Forscher der GfdS. Der Haken in Deutschland ist, dass Vornamen nicht amtlich gesammelt werden. Das offiziellste ist die alljährlich erscheinende Rangliste der GfdS, der die meisten Standesämter ihre aktuellen Namenslisten schicken. Laut der GfdS-Datensätze ist dieser so stigmatisierte Name in den letzten sieben Jahren immerhin 132 Mal vergeben worden ­– 130 mal als Jungsname, zwei Mal als „Adolphina”.

Und auch wo der „Adolf“ besonders gerne genommen wurde, lässt sich herausfinden – allerdings nur auf der Basis von Telephonbuchdaten von 1998 (wer andere Quellen hat, bitte gerne schicken; aktuelle Telephonbuchdatenbanken lassen sich nicht gesondert nach Vornamen durchsuchen).

Hallo Süddeutschland!

Die meisten der 74.979 Adolfs, die 1998 im Telephonbuch aufgeführt waren, werden längst verstorben sein – seine Zeiten als Modename liegen nun schließlich fast 100 Jahre zurück. Die Karte zeigt regionale Vorlieben, aber bringt auch zum Vorschein, was sonst unsichtbar bleibt.

Denn Datensätze, Exceltabellen, Kurvendiagramme sind abstrakt, unpersönlich. Was das mit einem selbst zu tun haben soll, erschließt sich nicht sofort. Auf dieser Landkarte schon: Da, wo diese fetten Punkte sind, kennt man da jemanden? Probieren Sie es aus. Oder wie es Wolffsohn mal in einem Aufsatz formulierte: „Auch Vornamen sind Erinnerungsorte“.