Adi // 1957

„In der Schule habe ich immer die Geschichte von Napoleons Söldner erzählt. Dieser Adolf Wilhelm sei damals mit Napoleons Truppen unterwegs und in unserem Fischerdorf hier am Bodensee stationiert gewesen.

Als die anderen weiter durch die Lande zogen, habe er sich entschieden zu bleiben. Weil er sich in ein Mädchen aus dem Dorf verliebt hatte. Doch er war nun einmal ein Deserteur – und wurde zur Strafe aufgeknüpft. Das Kind, das die junge Frau dann auf die Welt brachte, nannte sie zum Andenken an seinen Vater Adolf. Und von da an wurde der Name von Generation zu Generation weitergereicht.

In unserer Clique war ich Idolf Hatler

Jahrelang habe ich an diese Geschichte nicht mehr gedacht. Bis jetzt. Ich muss ungefähr 17 gewesen sein, als ich mir diese Legende ausdachte. Wohl um zu betonen, dass mein Name rein gar nichts mit dem anderen Adolf zu tun haben kann. Auch wenn ich eigentlich weder in der Schule noch im Freundeskreis Probleme mit dem Namen hatte. Ich hatte vielleicht auch einfach Glück, dass ich nicht der Kleinste war. Dass es andere gab, denen man Holzscheite in den Schulranzen steckte oder anderweitig hänselte.

Und damals gab es in unserer Riesenclique aufm Dorf eh keinen ohne Spitznamen. Ich hieß lange Idolf Hatler, der Michael war der Mike, der Manfred der Gentile, und so gab’s noch viele, Keule, Tex, Pfuser, Django und der Hässlich, dessen Nachname ‚Schön‘ war. Wenn Mädchen in die Clique kamen, wussten die lange gar nicht, wie wir eigentlich hießen.

Wirklich, ich hatte nie Schwierigkeiten, weil ich Adolf heiße. Ich kann gut damit leben. Aber ich schwimme vom Naturell her sowieso eher gegen den Strom. Ob thematisiert worden wäre, ob meine Eltern eine bestimmte politische Einstellung haben, wäre mir egal gewesen, ich kannte ja die wahre Geschichte.

Ich kann mich nicht erinnern, je ernsthaft mit meinen Eltern darüber gesprochen zu haben, ob sie damals gezögert haben, wegen dieses anderen Vornamensträgers. Ich habe es nie hinterfragt. Denn es war ja immer klar, wieso ich so heiße. Die Geschichte dahinter ist in einem Satz erklärt: Es ist Familientradition. Ich müsste glatt mal nachforschen, wieviele Generationen das zurückgeht, das habe ich tatsächlich noch nie gemacht.

Mit ein bisschen Nachdenken und den Erfahrungen aus der Weltgeschichte muss eigentlich jedem klar sein, dass jemand, der 1957 seinen Sohn Adolf nannte, sicherlich etwas anderes im Sinn hatte als die Verherrlichung des Größenwahnsinns.

Opa Adolf war eine Respektsperson

Der Adolf, nach dem ich benannt bin, war der Vater meiner Mutter. Mein Großvater war so ein Typ mit Kaiser-Wilhelm-Bart, ein geradliniger, aufrechter Mann. Ein absoluter Familienpatron, eine Respektsperson mit einer unglaublichen Aura. Geboren achtzehnhundertnochwas – ich müßte lügen. Und meinem Vater war es enorm wichtig, die Erinnerung an diesen Mann aufrechtzuerhalten. Er korrigierte sogar jeden, der Adi zu mir sagte. Warum?

Etwa deswegen: Mein Opa hat seinen Kindern verboten, zur Hitlerjugend zu gehen. Damit war er in diesem kleinen Dorf sofort ausgeschlossen. Er war Maurer und für den Krieg zu alt, er musste in ein Arbeitslager nach Rheinfelden oder Lörrach. Nach dem Krieg war er hier der erste gewählte Bürgermeister – weil er eine saubere Weste hatte. Er, der bis 1945 als der mit der Schwarzen Weste galt. Dass er Bürgermeister war, ging zwei Jahre gut, dann hat er aufgehört. Er konnte sich einfach nicht verbiegen, er war zu geradlinig dafür.

Nie zu übersehen: der Großvater mit dem Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Bart. (Photo: privat)

Und dann erzählte mein Vater irgendwann noch die Sache mit dem Wirtshaus. Sie müssen sich vorstellen: Im Dorf werden Neue immer erstmal ignoriert. Und dann kam der neue Schwiegersohn, also mein Vater, zum ersten Mal mit zum Stammtisch, dem erging es genauso. Da hat der Adolf Wilhelm einen Stuhl genommen, an den wichtigsten Tisch gestellt und gesagt: Das ist mein Schwiegersohn und der sitzt jetzt hier. Solche Aktionen haben meinen Vater so beeindruckt, dass er die Erinnerung an ihn aufrecht halten wollte.

Wir haben übrigens ausschließlich Töchter. Darauf lege ich Wert – viele sagen, sie hätten ’nur‘ Töchter, das finde ich immer so abwertend. Aber als noch nicht klar war, ob es Jungs werden, habe ich oft mit meiner Frau darüber diskutiert. Adolf hätte ich nicht durchgekriegt. Trotz des aufrechten Großvaters.

Adi im Alltag, Adolf im Pass.

Ich glaube nicht, dass mich der Name in irgendeiner Form geprägt hat, schon eher das Umfeld. Ich versuche immer, gerecht zu sein. Und dass ich es wichtig finde, gegen diesen radikalen Nationalismus, der gerade an die Oberfläche kommt, anzusteuern. Da muss man aufpassen. Aber das hat nichts mit meinem Namen, sondern mit meiner Grundeinstellung zu tun.

Was heute für ein Tag ist? Moment, ist heute wirklich der 20. April? Das ist Zufall, oder? Ehrlich, dieses Datum habe ich nicht auf dem Schirm. Ich habe aber mal die Namensbedeutung von Adolf nachgelesen, die ist nicht unschön. Irgendwas mit ‚edel‘, ‚vornehm‘, ich glaube auch ‚ehrlich‘. Damit war ich zufrieden.”