Adolf // 1959

„Ein, zwei Mal hat jemand gefragt: ‚Hätteste den Namen ändern wollen?‘ Nee. Und jetzt noch weniger als früher. Vor allem: Da hätte ich ja irgendwo hinmüssen und mich melden müssen! Schon das allein, nein. Der Aufwand, der da nötig gewesen wäre, wäre für mich in keiner Relation zum Ergebnis gestanden. Ich bin, wer ich bin.

Ich war immer der Adolf. Meine Eltern und meine Geschwister haben mich so gerufen. Meine Frau sagt auch Adolf zu mir. Auch Freunde haben meinen Namen nie abgekürzt. Nö, ich könnte mich nicht erinnern. Es ist nichts hängen geblieben.

Obwohl weder mein Vater noch meine beiden Großväter so hießen: Den Namen habe ich aus Tradition bekommen. Weil der Bruder meiner Mutter Adolf hieß. Er war im Zweiten Weltkrieg gefallen. Sonst gab es ganz sicher keine Gründe.

Ich weiß, dass mein Onkel und mein Vater einmal darüber sprachen: Man sei sich damals sehr bewusst gewesen, wie belastet und und belastend der Name war. Aber man hat sich damals gesagt: Knapp 15 Jahre nach Kriegsende sollte der Name wieder möglich sein. Zumal: Wenn man alte Stammbäume anschaut, sieht man den Adolf öfter. Gerade in den 10er und 20er-Jahren hießen wirklich viele so, ich erinnere mich noch, dass oft ich ihn als Kind oft auf Grabsteinen entdeckt hatte.

Vielleicht werden altdeutsche Namen wieder hoffähiger

Ich kenne bis heute keinen anderen Adolf. Wobei man den zweiten Vornamen der Leute ja meistens nicht weiß. Vielleicht kommen wir jetzt in eine Zeit, in der altdeutsche Namen wie dieser wieder hoffähiger werden.

Aber: Natürlich stelle ich fest, dass sich das, was lange Tabu war, gerade ziemlich ändert. Was damals passiert ist, darf nur nie in Vergessenheit geraten. Es hat mit Sicherheit nichts mit meinem Namen zu tun, dass ich mich mit dem Dritten Reich auseinandergesetzt habe, mit den Grausamkeiten und damit, wieso das alles so verhaftet ist bei uns. Weil es einmalig war in der Härte, dieses industrialisierte Töten.

Nicht belastet, nur ungewöhnlich

Ich selbst empfand den Namen aber nie als belastend – und eigentlich auch nicht als belastet. Das wäre jetzt doch zu hoch gegriffen, finde ich. Gut, vielleicht ein bisschen mehr als andere. Ungewöhnlich: das ja.

Aber bei mir war ja immer klar, warum ich so heiße: wegen des Onkels, der im Krieg gefallen ist. Da gab’s nicht mehr zum Nachdenken. Ich musste mich nie rechtfertigen. Erst Recht nicht in unserer dörflichen Gemeinschaft: 1000, 1200 Einwohner, da hat jeder jeden gekannt. Auch nicht in der Schule oder später in der Berufsschule. Im Geschichtsunterricht haben wir über den Adolf geredet, später in der Pause war’s kein Thema. Es ist zumindest nichts hängen geblieben und das heißt für mich: Das war alles ok so.

Alter Name, alte Pose.

Gut, im Erwachsenenalter wurde man doch ab und zu komisch angeschaut. Einige haben dann unter vier Augen genauer nachgefragt. Wenn man das mit dem Onkel erklärt und zwei, drei Sätze miteinander gesprochen hat, ist das immer schnell erledigt. Aber mein Eindruck ist, dass vor allem die ganz jungen Menschen zusammenzucken. Etwa als wir vor zweieinhalb Jahren nach Israel gereist sind. Am Zoll war eine junge Dame, die meinen Pass in der Hand hielt und mich anschaute und mit englischem Akzent ungläubig fragte: Adolf?

Richtige Provokationen gab es nur vereinzelt. Und es ist ja so: Jede Aktion provoziert eine Reaktion. Wenn ich auf den ‚Angreifer‘ – um das mal etwas überspitzt zu sagen – entsprechend reagiert habe, hat er sich schnell abreagiert. Weil: Von mir kommt dann eben keine Reaktion. Mag sein, dass ich diesen Umgang irgendwann entwickelt habe. Überhaupt ist das meine Strategie fürs Leben: Ich lasse mich möglichst nie provozieren.“