“Ich werde nie vergessen, als ich zum ersten Mal zu meiner Ex-Freundin nach Hause kam. Die hieß Anne. Benannt nach Anne Frank. Sie hat eine Schwester, sie heißt Sophie. Nach Sophie Scholl. Und dann sitzt man da am Kaffeetisch: Hallo, ich bin Adolf.
Dieser Name berührt mich persönlich, professionell. Auf allen Ebenenen. Immer wieder. Das hört nie auf.
Eigentlich habe ich einen Doppelnamen. Der ist einem Kampf geschuldet. Mein Vater wollte, dass ich Adolf heiße. Er heißt so, sein Vater auch, das geht fünf Generationen zurück. Mein Vater, der nie traditionell ist. Aber da musste das unbedingt sein. Da ließ er sich auch nicht reinreden. Aber meine Mutter wollte nicht, dass ich Adolf heiße. Deshalb musste ich auch so heißen wie der andere Großvater. Und auch gleichrangig, deshalb der Bindestrich. Es ist kein Familiengeheimnis, dass das für meine Mutter ein schlimmer Moment in ihrer Beziehung war.
Als ich meinen ersten Personalausweis bekam, mit 16, musste ein Elternteil mit zum Amt zum Unterschreiben. Dort war mein Name falsch abgespeichert: Adolf und der Zweitname. Ich sagte: Moment mal, das ist ein Fehler, wo ist der Bindestrich?. Um es wieder zu ändern, hätte die Dame vom Amt die Geburtsurkunde gebraucht. Und weil mein Vater darauf sagte: ‘Ach Quatsch, deswegen fahren wir doch jetzt nicht extra zurück, dann heißte halt Adolf, was soll’s denn’, heiße ich jetzt Adolf.
Ich stelle ich mich immer als Addi vor, mit zwei d. Auch an der Schule, an der ich jetzt unterrichte, habe ich mich als Addi beworben. Das ist mein Name.
Weil ein Teil meiner Familie kurz vor dem Mauerbau aus dem Osten geflohen war, hat man bei uns häufig über die Teilung gesprochen, und weshalb es die überhaupt gibt. Deswegen wusste ich schon relativ früh, wer Hitler ist. Aber für mich war es damals erstmal kein Problem, genauso zu heißen wie der. Es wurde erst ein Problem, weil es für die anderen ein Problem war.
Dass mein Name besonders ist, war mir schon früh klar, schon allein wegen des Bindestrichs. Es gab ein paar Leute bei uns im Dorf, die haben mir immer am 20. April zum Geburtstag gratuliert. Das habe ich anfangs nicht verstanden. Weil: Meiner war im Juni. Dann habe ich recherchiert und bin relativ früh darauf gestoßen, dass der Hitler da Geburtstag hat. Damit wusste ich, der Glückwunsch sollte eine Verletzung sein. Und das hat mich dann auch verletzt, weil ich wirklich das Gegenteil von Hitler bin.
In der Schule gab es nur mal ein paar coole Jugendliche, die gaben mir den Spitznamen ‘Führer’, aber das war’s. An der Uni später war es schlimmer. Wenn ich merkte, dass der Dozent für die Anwesenheitsliste Vor- und Nachnamen vorliest, dachte ich schon: Oh Gott. Immer dieses Raunen, das durch den Saal ging, wenn meiner vorgelesen wurde. Alle tuscheln und drehen sich um, suchen den Adolf im Raum. Besonders toll natürlich in Geschichtsseminaren.
Meine Mutter hat immer gesagt: Aber Du heißt ja nicht Adolf!. Ja, super. Scheiß-Name – mit Bindestrich. Der ist nicht schön! Was ist das denn für ein Name! Mein Vater sagte dagegen immer: ‘Was machste denn so ein Bohei da draus, wat soll dat denn?’ Mein Vater ist 1954 geboren. Der behauptet bis heute steif und fest, dass sein Name für ihn nie Thema war. Ich habe schon überlegt, ob das mit dem Milieu zu tun hat. Er war Handwerker, jung in den 70ern, am Niederrhein. Wer weiß.
Ich denke bei dem Namen nicht an mich
Er versteht bis heute nicht, dass es ein problematischer Name ist. Er hat kein Problembewusstsein. Und ich habe das immer. Das mag daran liegen, dass ich viel im Ausland unterwegs bin, generell mit vielen Leuten zu tun habe. Vor dem Namen kann man sich nicht verstecken. Wenn die Leute zucken, muss ich ja reagieren, vor allem muss ich es wieder einfangen. Wenn mich jemand Fremdes kennenlernt, möchte ich, dass der oder die mir positiv gesonnen ist. Die Konnotation des Namens muss erst einmal ausgeräumt werden.
Ich gerate immer in die Defensive. Ich muss immer erklären, wieso ich Adolf heiße. Und dann muss ich erklären, dass meine Eltern keine Nazis sind. Und dann muss ich erklären, warum meine Eltern das denn gemacht haben. Ein Christian muss das nicht. Vielleicht muss das heute ein Osama. Mag sein.
Mein Name hat mich total geprägt. Ich wusste früher als viele andere, wer Adolf Hitler war, was er gemacht hat, wofür er verantwortlich war, wofür er steht. Nicht nur, weil ich deswegen Geschichte studiert habe. Ich bin dadurch ziemlich links geworden. Ich lasse Menschen AfD-eske Kommentare nicht durchgehen. Da kann ich nicht ruhig sein. Man kann sagen: Das Abarbeiten an dem Namen hat mich zu einem besseren Menschen gemacht. Ich bin dadurch meinungsfreudig geworden.
Schon allein als Geschichtslehrer sehe ich es als meine Aufgabe, junge Leute, die ich als zunehmend politisch empfinde, mit Realitäten zu konfrontieren und historische Vergleiche zu ziehen. Gerade Gerechtigkeits- und Gleichstellungsfragen sind mir wichtig. Ich lasse den Kindern keine rassistischen oder frauenverachtenden Witze oder Vorurteile irgendeiner Art durchgehen. Wenn mich jemand wegen meines Vornamens in eine Schublade steckt, konnte ich mich nie so richtig dagegen wehren.
„Du bist hoffentlich der letzte. Mama“
Wenn ich den Namen ausgeschrieben sehe, assoziiere ich nicht damit, dass das mein Name ist. Ich habe nicht mein Gesicht vor Augen. Auch nicht das meines Vaters oder Großvaters. Hitler. Ja. Adolf ist für mich, auch wenn ich so heiße, verbrannt.
Aber Addi gefällt mir. So heißt nicht jeder, es klingt auch ganz schön, finde ich. Vielleicht würde ich den sogar weitergeben. Adolf aber auf keinen Fall. Es ist zu viel. Es ist einfach zuviel. Diesen Namen muss man einem Menschen nicht aufbürden. Das wusste ich schon, als ich mit 15 den Eintrag meiner Mutter in dem Babybuch entdeckte. Vier Monate nach meiner Geburt schrieb sie: ‘Mein lieber Sohn, nenn Deinen Sohn nie Adolf. Denk immer an meine Worte: Du bist hoffentlich der letzte. Mama.’ Sie hätte gewollt, dass ich Oliver heiße. Als ich das las, war ich baff.
Ich habe auch mal darüber nachgedacht, ob ich ihn ändern muss. Das kann ich nicht. Ich bin Historiker. Auch mein Weg ist historisch gewachsen. Ich kann anerkennen, dass der Name prägend war. Wenn ich jetzt morgen Peter hieße: Das wäre ich nicht. Ich bin Adolf. Da muss ich jetzt durch.”
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