Adolf // 1951

“Ich hatte eine sehr schöne Kindheit. Landwirtschaft, Großfamilie, mit allem, was dazu gehört: auf dem Feld arbeiten, Feste feiern, Klavier spielen, singen, in die Kirche gehen. Das war alles ganz normal. Ich bin wirklich mit allem einverstanden, was meine Eltern gemacht haben. Das einzige, was ich bis heute nicht gut finde, ist mein Vorname. Das habe ich schon des öfteren gesagt. Bei jeder zweiten, dritten Familienfeier war dies ein Thema.

Ich heiße so, weil mein Großvater Adolf so hieß und zwei Jahre, bevor ich auf die Welt gekommen bin, gestorben ist. Und weil auch der Bruder meiner Mutter so hieß, der mit 19 im Krieg gefallen war. Man muss sich das so vorstellen: Landwirtschaft, mitten in der Aufbauphase nach dem Krieg – da wurde gearbeitet, Namensgebung nicht groß diskutiert.

Die Nachbarin konnte nur ‚Adölfel‘ sagen

Man muss sich das so vorstellen: Landwirtschaft, mitten in der Aufbauphase nach dem Krieg – da wurde gearbeitet, Namensgebung nicht groß diskutiert. Erst als ich älter war, wurde mir bewusst, wie schwierig der Name ist. Und dass er nach dem Krieg durchaus selten war. Unsere Nachbarin etwa nannte mich nur ‚Adölfel‘, sie hat die normale Aussprache vermieden. Und: Ich wäre nie auf die Idee gekommen, meine Söhne auch so zu nennen. Das ist aus meiner Sicht keinem Kind zuzumuten. Da hat Tradition ihre Grenzen.

Ich habe mich schon als Kind für Politik interessiert, ich muss fünf, sechs Jahre alt gewesen sein, da ist mir bewusst geworden, dass mein Vorname nicht mehr so häufig vorkommt. Später habe ich auch mal in unserem Stadtarchiv nachgeschaut und festgestellt, dass der Name in den 20er, 30er Jahren, also schon vor dem anderen Adolf, vorgekommen ist – und zwar in jeder zweiten, dritten, vierten Familie. Es hat mich erstaunt, dass er mal so geläufig gewesen ist.

Es mag mit meinem Namen zusammenhängen, dass ich mich schon mit elf, zwölf, dreizehn mit dem Namen und der Person Hitler auseinandergesetzt habe. Nicht mit Schwernis, aus natürlichem, inneren Bedürfnis heraus. So habe ich etwa mit meinem Deutschlehrer über Bücher von Werner Maser diskutiert, der damals Historiker in Speyer war und übers Dritte Reich und Hitler geschrieben hat. Die habe ich alle gelesen in relativ jungen Jahren.

Letzten Endes habe ich den Namen als Auftrag empfunden. Ich war im VVN-Bund der Antifaschisten. 1980 bin ich Stadtrat meiner Heimatstadt geworden – für die Grünen. Das war damals ein Schimpfwort: die Griiieeeene, mit drei i und vier e. Man war fast wie ein Aussätziger. Da war die Partei das Schlimme, nicht der Adolf.

Für manche war die Partei schlimmer als der Name.

1980 galt man als „Griiieeener“ als Aussätziger, nicht wegen des Namens.Aber es ging mir darum, politisch, inhaltlich, menschlich so zu sein, dass der Name auch mit etwas ganz anderem verbunden werden kann. Damit mag zusammen hängen, dass ich 1979 eine Gedenktafel mit initiiert habe für die Juden unserer Stadt, die nach Gurs transportiert und dort umgebracht wurden. Oder dass ich ab 1993, unterstützt von Gleichgesinnten, Gedenkfeiern anlässlich der Reichspogromnacht ausgerichtet habe, ohne die Kommune im Rücken. Das war ungewöhnlich hier in den Anfangsjahren. Auch wenn ich das alles nicht auf den Namen reduzieren will. So bin ich halt.

In meinem Umfeld, politisch wie privat, bin ich bekannt mit meinem Vor- und Zunamen. Mein Name ist in gewisser Weise ein Qualitätsbegriff. Dennoch denke ich alle fünf Jahre darüber nach, meinen Namen zu ändern, mit 50, 55, 60. Aber ich merke, dass mich die anderen annehmen, es kann Herzlichkeit und Wärme entstehen, der Name ist egal. Es ist gut, denke ich dann. Ich muss meinen Namen vielleicht doch nicht künstlich ändern. Das wäre eine Abkehr von dem ganzen Leben, das ich jetzt hinter mir habe.

Auch, weil ich versuche, verlässlich und geradlinig zu sein. Das kommt vielleicht auch von der Landwirtschaft: Die Natur gibt die Abläufe vor, man muss sich danach richten, kann nicht alles zu seinem Vorteil verändern. Nein, ich heiße jetzt so, ich muss mich damit auseinandersetzen – und andere dann auch. Ich will es ihnen nicht leicht machen, weil es mir selbst nicht leicht fällt.

Und in der Brusttasche griffbereit: ein Grünen-Bleistift.

Es ist trotzdem eine lebenslange Frage für mich, wie ich mich verhalte, wenn ich mich vorstellen muss. Ich habe Hemmungen, meinen Namen zu sagen – und sage ihn wenn, dann nur mit meinem Nachnamen zusammen. Ich bin ich schon darauf programmiert, was dann passiert: Ich bemerke relativ schnell – an der Körpersprache, der Mimik –, eine Wertung, eine Irritation bei meinem Gegenüber. Und versuche fast jedes Mal, sofort zu erklären, warum ich so heiße. Sogar meine Email-Adresse habe ich so gestaltet, dass man den Namen nicht bemerkt. Ich versuche auch immer zu kaschieren, dass auch die Initialen identisch sind mit Hitlers.

Manchmal denke ich: Wieso mache ich das? Ich mache mich damit klein. Eigentlich müssten die Menschen bereit sein zu erkennen, dass da ein Mensch vor ihnen steht oder sitzt. Und so mit ihm umgeht, wie man ihn wahrnimmt. Und nicht durch den Namen ein Filter im Kopf entsteht. Wenn man nur wegen seines Namens misstrauisch beäugt wird, tut das weh. Wo bleibt da die Toleranz?

Aber gerade bei jungen Leuten, mit denen ich viel zu tun habe, etwa bei den Grünen und früher bei der Evangelischen Jugend, merke ich, dass sie am Anfang meinen Namen nicht aussprechen. Dann biete ich ihnen an, mich Adi zu nennen. Sobald sie mich kennen, nach ein paar Monaten, bin ich dann auch für sie Adolf.

Kein Anlass, an diese andere Person zu denken

Es ist übrigens interessant, wie viele verschiede Formen es gibt, den Namen auszusprechen. Meine Elten haben “Addolf” zu mir gesagt, mit Betonung auf dem ‘d’, ein bisschen energisch, das kann man gut aussprechen. Ich musste öfter mithelfen bei uns im landwirtschaftlichen Betrieb, dann riefen sie: Addolf, auf! Meine Frau nennt mich ausdrücklich ‚Adolf‘. Sie sagt das so, dass es einfach normal ist. Und der Klang ist so selbstverständlich, wenn sie den Namen ausspricht, das ist wunderschön. Eine Bekannte sagt ‚Aaadolf‘, meine französische Brieffreundin damals hat immer ‚Adolphe‘ gesagt, das fand ich natürlich besonders toll. Aber gut, im Alltag, hier bei uns, gut – das geht net.

Ich bin ein politischer Mensch, mir ist bewusst, dass der Name belegt ist. Aber es gibt keinen Anlass für mich, wenn ich den Namen sehe, an diese andere Person zu denken. Das lehne ich ab. Es geht um mich.”