Der Namensforscher

Jürgen Gerhards hat eine Professur für Makrosoziologie an der Berliner Freien Universität inne – und leitet unter anderem ein Forschungsprojekt, das die Namens-Identitäten von Migrantinnen und Migranten untersucht.

Herr Gerhards, wenn Sie hören, dass ein Mann, nach dem Krieg geboren, auf den Namen Adolf getauft wurde – was ist Ihre erste Reaktion?

Jürgen Gerhards: Meine erste Assoziation wäre, nach der politischen Ideologie der Eltern zu fragen. Der Name ist kontaminiert. Es ist selten, dass ein Name so stigmatisiert ist – und noch dazu weltweit. Die Verbindung zu Führer, Holocaust und Nationalsozialismus ist fest im kollektiven Bewusstsein verankert.

Selten? Welcher fällt Ihnen noch ein?

Pol Pot und Josef Stalin waren ähnliche Halunken, aber Pol kennen zu wenige Leute, zumindest in Europa und bei Josef denkt man nicht automatisch an den einen …

… es gibt ja auch noch Kollegen im Christentum.

Genau. Aber eine solche Verbindung zwischen einem Vornamen und einer fürchterlichen Entwicklung der Menschheitsgeschichte wie bei Adolf ist ein Sonderphänomen: weil die Attribution so explizit ist. Dadurch ergibt sich für spätere Namensträger ein echtes Problem: Der Name ist ein Stigma. Im Unterschied zu anderen Markern von Identität kann man einen Namen nicht einfach ablegen, ein Name – und so auch „Adolf“ – ist eine Markierung fürs Leben.

Viele erklären, der „Adolf“ sei Familientradition in der xten Generation. Ersetzt das das Stigma?

Um eine Familientradition weiterzuführen haben sie ihren Kindern gegenüber zumindest eine gewisse Robustheit an den Tag gelegt. Denn der Referenzraum der Familie kollidiert beim Namen Adolf mit dem zweiten Bezugsraum, dem der öffentlichen Wahrnehmung des Namens.

Ich hörte von „Adolfs“ wiederholt, sie hätten mit ihren Eltern nie wirklich darüber geredet. Hat das mit jener Generation zu tun, die über den Nationalsozialismus schwieg, die Zeit als Leerstelle behandelte?

Das kann ich mir gut vorstellen. Soziologen sagen: Die Wirklichkeit ist real, wenn sie von den Akteuren als real definiert wird. Es mag sein, dass die Eltern unterschätzt haben, wie lange die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland nachwirken würde. Die sagten sich vielleicht: Das mendelt sich schon aus, die Verbindung des Namens Adolf mit dem NS gerät in Vergessenheit – damit haben sie sich verhauen. Die Langfristfolgen hatten sie nicht im Blick.

Dennoch nehmen offenbar nicht alle den Namen als einen derartigen Makel wahr. Wie erklären Sie sich das?

Es gibt verschiedene Formen von Stigma-Management, die ich aus meiner Forschung über migrantische Vornamen kenne. Die Hauptstrategie ist, die Existenz des Namens abzudunkeln, in dem man eine Kurzform kreiert, etwa Adi, oder auf den zweiten Vornamen zurückgreift. „A. Ulrich Müller“ etwa.

Derzeit gibt es eine Renaissance alter deutscher Namen. Ebnet das den Weg für „Adolf“?

Stimmt, wir erleben gerade, dass die Bedeutungszuschreibung von deutschen Namen und deutschem Kulturgut verblasst und damit die deutschen Namen wieder verwendbar werden. Das Distinktionsprinzip ist wichtig für die Bildungsbürgerschichten, etwa in Prenzlauer Berg: Alle heißen Sarah und Hanna, da muss man sich unterscheiden. Allerdings bezweifle ich, dass der Name Adolf je von seinem Kontext entkleidbar ist. Dieser Name ist eine Ausnahme. Dabei war er lange ein normaler deutscher Name, dessen Beliebtheit zwar schon vor 1933 deutlich gesunken war. Aber dann gibt es ab 1933 einen Peak in der Statistik, ab 1942/43 bricht die Kurve wieder ab.

Wenn man mal abstrahiert von der Bedeutung: Was für ein Image hätte ein „Adolf“ heute?

Wenn Adolf nicht so kontaminiert wäre, wäre der Name selbst kein Nachteil im Alltag. Es gibt phonetisch kein Argument gegen den Namen, ebensowenig wie bei Rudolf oder Ulf, die wohl am engsten verwandt sind. Das „-lf“ konnotiert deutlich Männlichkeit, der Name ist leicht sprechbar, weil er zwei-vokalig ist – und er funktioniert in mehreren Sprachen. Ein Karl hat es da schwerer.