Dolf // 1955

„Wenn ich den Namen Adolf höre, denke ich zuerst an meinen Vater. Wenn ich ein Photo von Hitler sehe, ist meine einzige Reaktion: Ablehnung. Und unterschwellige Aggression.

Der Name, den mir meine Eltern gegeben haben, hat mich sehr geprägt. Er hat mich so sehr belastet, dass ich ihn später sogar offiziell geändert habe. In meinem Ausweis steht jetzt ‚Dolf’.

Der Name ist eine Abstrafung

Ich konnte mich früher nie wie alle anderen angstfrei und unvoreingenommen in neue Situationen begeben. Sobald ich mich mit meinem Namen vorgestellt habe, war ich immer auf eine Konfrontation eingestellt, damit man möglicherweise sofort zurückballern kann. Ich habe mir einen Panzer zugelegt.

Wenn ich mit meiner Mutter heute darüber rede, kann sie es auch nicht mehr verstehen, wie man 1955, zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, einem Kind diesen Namen geben konnte und es damit abstraft.

Natürlich gab es in der Schule auch Hänseleien, aber so richtig gespürt habe ich die Last des Namens, als ich zum ersten Mal ins Ausland gefahren bin. Mit Freunden fuhr ich nach Frankreich zum Zelten, ich war 16. Auf dem einen Campingplatz passierte es dann: Der Besitzer sah meinen Ausweis, beschimpfte mich als boche und hat mich nicht reingelassen. Uns war klar, dass diese Reaktion einen konkreten Hintergrund hatte, er war alt genug, um den Zweiten Weltkrieg miterlebt zu haben, das konnten wir natürlich nachvollziehen. Aber wir waren trotzdem sehr befremdet. Wir haben einfach nicht verstanden, was wir unmittelbar damit zu tun haben sollten. Wir waren schließlich nur Teenager.

Mein Vater war Kriegsgegner

Danach wurde es auch in meinem Alltag schlimmer: In dem Alter politisiert man sich schließlich. Noch dazu wechselte ich auf die Fachoberschule und kam in eine stark linksradikal organisierte Klasse, es war die Post-68er-Zeit. Da ist man mit so einem Vornamen ein Fremdkörper. Dauernd hieß es: Wie kamen Deine Eltern denn dazu, Dich so zu nennen? Ich musste mich ständig rechtfertigen. Dabei konnte ich es ja selber nicht richtig erklären.

Ich habe meine Eltern in der Zeit häufig damit konfrontiert. Mein Vater hieß Adolf, geboren 1922. Er erklärte beharrlich: Der Name Adolf habe Tradition in der Familie – sein Patenonkel hieß auch so – daher die Namensgebung. Das habe überhaupt nichts mit Hitler zu tun gehabt und er habe gar nicht eingesehen, ihn wegen Adolf Hitler nicht weiterzugeben.

1927 war es noch normal, Adolf zu heißen. So wie Dolfs Vater, hier ausnahmsweise ganz rechts außen. (Photo: privat)

Man muss dazu sagen: Mein Vater war tatsächlich ein erklärter Kriegsgegner. Er hat mir verboten, mit Waffen oder Kriegsspielzeug zu spielen. Über den Krieg selbst hat er nur auf der Dönekes-Ebene erzählt, Anekdoten über Erlebnisse mit Kumpels, den Rest hat er weggeschoben. Er war 1941 eingezogen worden, war Richtfunker, erst im Russlandfeldzug, später in Italien. In seinem Nachlass fanden wir heraus, was er alles Schlimmes erlebt haben muss: Er hat genauestens dokumentiert, wo er überall im Krieg eingesetzt war, mit Zeichnungen, Photomaterial, etwa Aufnahmen von einer brennenden Stadt, in die sie einmarschierten.

Das Studium war mein Neuanfang

Mit Nazi-Ideologie hatte die Namenswahl tatsächlich nichts zu tun. Er hat mir quasi als Trotzreaktion diesen Namen gegeben. Auch wenn wir diese Begründung in der Familie später alle für schwachsinnig hielten.

Mein Vater geriet zunehmend in die Defensive, je deutlicher wurde, welche Probleme mir dieser Name machte. Er wurde immer zerknirschter. Als wir anfingen, so intensive Gespräche zu führen, hat er sich verändert. Als Kind und Jugendlicher war unser Verhältnis eher distanziert, im Zuge dieser Auseinandersetzungen, als ich ein Heranwachsender war, wurde es inniger. Weil ich seine Selbstzweifel erlebte und sah, dass er bereit war, viele seiner bis dahin fest zementierten Positionen zu überdenken.

Mit Beginn des Studiums beschloss ich, die Chance für einen Neuanfang zu nutzen: In Paderborn kannte mich keiner, ab da habe ich mich Dolf genannt. Und diesen Namen auch in der Familie durchgesetzt.

Dass das Thema dann doch noch mal virulent wurde, hat mit meinem politischen Engagement zu tun. 1989 kandidierte ich für die Grünen – da ging die Chose wieder von vorne los. Ich erklärte meinem Vater, dass ich nicht länger bereit sei, mit meinem offiziellen Namen in die Öffentlichkeit zu gehen, er schadete mir. Da hatte er ein Einsehen und sagte, na, wollen wir mal sehen, dass wir den Namen nun wegkriegen.

Dolf hat Charme

Auf dem Einwohnermeldeamt stellte sich die Sache als sehr kompliziert heraus: Es ist leichter, einen Nachnamen als einen Vornamen zu ändern. Die Wahl eines Vornamens wird als bewusste Willensentscheidung der Eltern angesehen. Ich habe mehrere Begründungen abgeben, das hat aber alles nicht gereicht.

Ein neuer Name – 500 DM, bitte. Und eine eidesstattliche Erklärung der Eltern.

Erst eine eidesstattliche Erklärung meiner Eltern war ausschlaggebend: Sie bekundeten, sie hätten eigentlich beschlossen, mich Dolf zu nennen, aber der Standesbeamte habe gesagt, der Name sei nicht in der Liste – Adolf hingegen schon. Das war natürlich eine Krücke – andererseits haben sie mich ja wirklich anfangs ‚Dölfchen‘ genannt. Die offizielle Namensänderung kostete 500 DM – die zahlte mein Vater. Das war sein „Bußgeld“.

Ganz grundsätzlich sollten Eltern ihren Kindern Namen geben, mit denen sie nicht von vorneherein belastet sind. Wer überlegt, den Adolf aus Familientradition weiterzugeben, dem würde ich sagen: Ihr müsst erst mal erleben, was man damit durchmacht. Denn auch als Zweitname taucht er irgendwann auf.

Erst im Pass, jetzt auch auf anderen offiziellen Schriftstücken: der neue Name.

Aber den ‚Dolf’ mag ich sehr, dazu stehe ich auch. Den finde ich richtig gut. Der hat Charme. Er steckt sogar in unserem Autokennzeichen. Die Leute fragen: Das ist ja ein ungewöhnlicher Name, wo kommt der denn her? Anfangs habe ich mich rausgeredet und gesagt, es gibt ja viele Namen, die so enden, Rudolf etwa. Nur um die Adolf-Diskussion zu vermeiden. Heute mache ich mir einen Jux daraus und erzähle die Geschichte, die hat mittlerweile einen Unterhaltungswert.

Ich wollte wissen: Wer war dieser Hitler?

Einen positiven Effekt hatte der Name: Er hat mich zu einem politischen Menschen gemacht. Mit 16 fing ich an, mich sehr für die Geschichte des Nationalsozialismus zu interessieren, ich habe alle Facetten aufgesogen wie ein Schwamm. Besonders intensiv habe ich mich mit der Figur Hitlers befasst. Ich wollte es einfach wissen: Was ist das für ein Typ, dem Du diese ganze Sache zu verdanken hast?

Die Biographie von Hitlers Sekretärin Traudel Junge hat mich etwa stark beeindruckt. Darin kommt gut heraus, dass Hitler zwei Gesichter hatte, er war das Monster – und hatte in seinem unmittelbaren Umfeld durchaus, naja, ‚menschliche’ Züge. Eben diese Mischung hat meiner Meinung ja dazu geführt, dass er eine solche Wirkung auf die Massen haben konnte.

Mein Name ist indirekt auch für meine Berufswahl verantwortlich: Ich setzte mich seit damals kritisch mit gesellschaftlichen Entwicklungen auseinander, war in der Jugendarbeit aktiv, heute bin ich Jugendamtsleiter.

Der starke Einfluss der Rechtsradikalen im Jugendmilieu derzeit macht mir große Sorgen. Gerade deswegen müssen sich die Jugendverbände derzeit sehr intensiv damit auseinandersetzen, wie sie mit politscher Bildungsarbeit gegensteuern können.

Gerade weil ich mich so intensiv mit der Zeit des Nationalsozialismus befasst habe, sah ich es immer als meine Pflicht, dieses Wissen, die Erkenntnisse, die ich über die Jahre gewonnen habe, weiterzugeben. Nicht, um persönliche Geschichten zu bewältigen, nein: Es geht um Haltung und um Verantwortung für Demokratie.“